Weihnachten ist in meiner Familie seit jeher mit Foto-Eskapaden verflochten. Fotoabende statt Kirche. Sozusagen. Dieses Feld der ausufernden Dia-Shows gehörte früher allein meinem Vater; – aber spätestens seitdem meine Schwester und ich eigene Kameras, mit eigenen Bildinteressen haben, muss er sich in Diplomatie üben und dieses hart umkämpfte Terrain teilen.
Meine Familie neigt in Sachen Fotos durchaus zu konsequenter Maßlosigkeit – und das ist noch recht sparsam ausgedrückt. Der riesige, randvolle narnia’eske Eichenschrank im Flur meiner Eltern ist da nur die eindrucksvolle Spitze des Eisberges. Überall im Haus hat mein Vater kleine Schränkchen, Regale und Kommoden, in denen weitere hunderte, ja tausende von Erlebnissen in Form von Dias gehütet werden.
Für ewig unvergessen innerhalb unser Familien-Chronik dürfte z.B. der Assisi-Abend bleiben: In dessen Verlauf nach und nach das maßlose Ausmaß dieser Maßlosigkeit an die heimische Wohnzimmerwand geworfen wurde: Im Rausch hat mein Vater alle Fresken, aus allen Perspektiven, in allen Mönchzellen des Klosters von Assisi abfotografiert. Ja. Wirklich alle. Der Abend war lang. Sehr lang.
Noch wilder hat es ihn bisher nur im florentiner Dom erwischt. Ich bin mir sehr sicher, dass wir mit dem familieneigenen Fotomaterial den Dom in 3D nachbauen könnten. In Originalgröße. Und nahezu lückenlos.
Ja! Falls ihr der festen Meinung erlegen seid: Fünf Museen an einem Tag wären stressig oder sogar geradezu verrück, dann wart ihr noch nie mit meinem Eltern in Venedig: Mit logistischem Geschick und realitätsrelativierenden eisernen Willen gegenüber zwei pubertierenden Teenagern, lassen sich tatsächlich mehr als doppelt so viele unterbringen: In das Letzte des glorreichen Duzend sind wir zehn Minuten vor Schließung eingefallen. In wichtiger Mission. Selbstverständlich. Mein Vater vorweg. Wir hinterher: Es ging zu einem einzigen, ganz bestimmten Bild. Jenes musste unbedingt, ja, um jeden Preis live gesehen und zur anschließenden ewiglichen Verwahrung im Eichenschrank abfotografiert werden. Andernfalls wäre mindestens das Universum explodiert. Natürlich.
Nun. Ihr ahnt sicher schon, dass seit der Erfindung der digitalen Fotografie bei meinem Vater alle erdenklichen Dämme vollends gebrochen sind. Er ertrinkt seit jeher in seinen Bytes voller Bilder. Hat nun sogar schon den Herrn S. zu Rate gezogen, denn das Sammelsurium aus DVD’s und externen Festplatten ist kaum noch zu überblicken. Ein eigener Server wird daher voraussichtlich demnächst bei meinen Eltern seinen Einzug feiern.
Auf der jüngsten Reise meiner Eltern nach Nepal ins Annapurna-Gebiet nahm mein Vater in „weiser“ Voraussicht also gleich ein ganzes Terabyte (!) Speicherplatz mit – und füllte es mühe- sowie restlos. Vorgestern dann, am Telefon, hat er stolz verkündet, dass diesmal alles anders wäre, dass er für Weihnachten rigoros aussortiert hätte, es wären nun wirklich nicht mehr viele Bilder, viel weniger als während der drei Flaschen Wein andauernden Istanbul-Eskapade. Anno 2012. Es wären jetzt nur noch rund 900. Und er hätte das geprobt: Das könnte man in zwei Stunden schaffen. Ja!! So wie man eben auch zwölf Museen an einem Tag schaffen kann. Damit kann er vielleicht irgendwelchen hilf- und wehrlosen Nachbarn einlullen. Aber doch nicht mich, die la Familia höchstselbst!
Und falls ihr nun vermutet, das wäre alles. Nach den 900 wäre dann Schluss. Irrt ihr. Gewaltig. Danach ist meine Schwester an der Reihe: Und ich kann euch sagen, der Apfel fällt in dem Fall nicht nur nicht weit vom Stamm. Nein. Er sitzt ganz oben in der Krone und brüllt: Hurra! Meine Schwester kann und wird ordentlich nachlegen. Sie war natürlich noch ganz anderswo: Sie war in Costa Rica. Drei Wochen. Mit vielen vollen Speicherkarten – Return.
Aber es ist natürlich nicht so, dass meine Familie erst auf einen anderen Kontinent fliegen muss, um in solch ekstatischen Wahn zu verfallen. Wer dies bezüglich eines besseren belehrt werden möchte, kann sich gerne einmal die zum Blockbuster-Daumenkino geeignete Fotoreihe meines Vaters, von einer Eule, auf einem Turm, irgendwo in der Nähe von Münster, ansehen.
Hinsichtlich dieser Beweislage, versuche ich mich also gar nicht erst in langen Analysen, wie der Herr S. und ich zu 55 GB Fotos vom letzten Zingst-Aufenthalt gekommen sind. Klar ist nur, dass der Herr S. in Sachen Fotos keinen regulierenden Einfluss hat. Gar keinen. Eher im Gegenteil: Gemeinsam quadrieren wir die Bytes und Gigabytes offenbar mühelos zum Kreis:
Wie ich nun während der Vorbereitungen meines Teils des diesjährigen Weihnachts-(Foto)Oratoriums feststellen musste, gibt es nämlich gleich mehrere hundert Bilder von nur einem einzigen Sonnenuntergang. Tja. Und nicht nur das! Jedes dieser Bilder haben wir in 3-facher Ausführung: Mit jeweils einer anderen Einstellung der Blende & Belichtungszeit. Man kann schließlich nie wissen.
Daher haben wir diese 3-Faltigkeit selbstverständlich auch noch in jedem nur erdenklichen Winkel gen Himmel fotografiert: Wir haben im Stehen, Sitzen, Liegen abgedrückt. Mit den Buhnen als Stativ, oder unseren Ellbogen. Ja. Ich lag sogar in der Ostsee selbst – während der Herr S. den Takt der Wellen angab, damit ich die Kamera im richtigen Moment zum Schutze vor Wasser hochreißen konnte. Und für den bizarren Fall, dass das alles doch nicht reichen sollte, das noch irgendetwas fehlt, haben wir natürlich auch noch ein schön-schiefes rundum Handy-Video:
So. Denn. Ich mach‘ dann mal mit den drölfzig Millionen Bildern vom Klatschmohnfeld in Ahrenshoop weiter. Und. Danach. Geht’s auf zur Königsdisziplin! Zu den vielen, vielen Ordnern voller Bienen: Bienen auf Blüten. Bienen in Bienenkiste. Bienen im Moor. Bienen auf dem Balkon. Bienen von vorne. Bienen von hinten. Von der Seite. Von oben. Jedoch weniger von unten. <– Immerhin!