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YOLO!

Zu Hause ist da, wo die Jogginghose schnurrend um meine Beine streicht. Dort, wo mein Bett freudig summt, wenn es mich sieht. Und der Herr S. inmitten meiner Pflanzen hockt, – mit mir gemeinsam ein sicheres Eden beschließt. Einfach so. Weil wir es so wollen. Weil es geht.

Einen Beschluss, den die allermeisten Menschen auf der Welt angesichts ihrer unerbittlich anonymen Realität niemals schließen können. Die inmitten von Hunger, Krieg, Tod und entmenschlichter Zerstörung leben. Die die Rohstoffe unserer Smartphones unter der Herrschaft irgendwelcher Warlords abbauen. Elendig dabei verrecken. Sich maximal kaum davon ernähren können; die eigenen Kinder in das gleiche Leben schicken. MÜSSEN. Menschen, die unter den fürchterlichsten Bedingungen auf Plantagen arbeiten, nur damit wir statt 4,99 Euro, 3,29 für ein Päckchen Kaffee ausgeben können. Damit noch ein Snickers oben drauf passt.

Das sind die Menschen, denen wir kein Recht auf Flucht, eigentlich nichteinmal den Wunsch nach mehr Leben zugestehen. Die wir abschätzig Wirtschaftsflüchtlinge nennen. Ein Begriff, der materielle bequemliche Gier suggeriert. Nahezu Faulheit. Der impliziert, dass es dabei um Luxusprobleme geht. Um unsere Kategorie von Problemen. Um ohne Fleiß, keinen Preis. – Darum, dass wir zu geistlos oder arrogant sind, uns die weitverzweigte Nicht-Existenz von Möglichkeiten auch nur vorstellen zu können. Ohne genug Verstand oder wenigstens schlichte Pietät für die Realität derer, deren Zukunft keine hat. Inklusive all der innerankenden unausstehlichen Arroganz.

Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.
Oder Cupcakes.
YOLO!

2014 haben Flüchtlinge aus Syrien aber auch z.B. Eritrea die Statistik angeführt (–> SPON). Eritrea ist ein Land in dem die Prävalenz von weiblicher Genitalverstümmelung derzeit zwischen 70-89% liegt. Es herrschen dort Hungersnöte. Regierungskritiker, Deserteure oder Menschen, die je um Asyl gebeten haben, werden inhaftiert oder getötet. Auf der Rangliste der Pressefreiheit nimmt Eritrea den letzten Platz ein. (–> Wikipedia)

Und selbst den Menschen, denen wir fromm das Recht auf Flucht eingestehen (dazu gehören die Menschen aus Eritrea nur etwa zur Hälfte. Chance 50/50. Also. –> klick), machen wir es quasi unmöglich es auch wahrzunehmen. Denn ein Asylantrag kann nur auf europäischen Boden gestellt werden. Das ist nunmal so. Genau wie die Unmöglichkeit auf legaler oder wenigstens nicht lebensgefährlicher Weise dorthin zu gelangen. Das ist Zynismus in seiner boshaftesten Form.

Als ich vorgestern von dem Tod so vieler Menschen gelesen habe, ging alles Mögliche in mir vor: Trauer. Wut. Empörung. Hass. Und immer wieder Schuld. Denn: Wie viel habe ich nun wirklich getan, um von der Politik mehr Verantwortung zu verlangen? Die Konzerne zu mehr Fairness zu zwingen? Habe ich immerhin/ wenigstens oft genug unterschrieben? Mal was gespendet? Geliked? Man wird ja mit zunehmendem Alltag immer kleiner in seinen Wenigstens-Das-Forderungen an sich selbst. Wie viele Menschen dort im Mittelmeer habe ich mit meiner eigenen Bequemlichkeit auf dem Gewissen? Mit meinem Nicht-Hinsehen? Wie viele Stunden haben sie meinem Wohlstand gewidmet? Wie viele ich ihrem Überleben?

Ich finde es ist an der Zeit sich mit der unbequemen Wahrhaftigkeit von Schuld auseinander zu setzten. Denn wir sind nicht DAS Volk. Das absolute Gegenteil ist der Fall: Wir sind die oberen 10.000 der Welt – und setzen alles daran, dass das auch genauso bleibt. Uns geht es nur deshalb so gut, weil es anderen so schlecht geht. Diese Tatsache bleibt wahr. Egal wie sehr wir auch an ihr rumrelativieren wollen – oder (fast noch gefährlicher) versuchen sie zu verfloskeln.

Kein Mensch dieser Welt kann etwas für seine Geburt. Weder in Deutschland noch in Afrika. Aber für das, was wir draus machen: Wir hier in Deutschland haben die Möglichkeit uns dafür zu entscheiden nicht zu den Arschlöchern der Weltgeschichte zu gehören, nicht zu denen, auf die spätere Generationen spucken. Die Zeitzeugen zu werden, zu denen keiner gehören möchte. Den brandschatzenden Cupcake-Adel des 21. Jahrhunderts, dem es auf genauso gepuderte ichbefangene Weise wenig gefällt etwas von seinem Reichtum abzugeben, wie sämtlich anderen Adelsgeschlechtern und Herrschaftshäusern der letzten 3000 Jahre. Exakt so verhalten wir uns auch gerade. Und in jeder Sekunde bleibt es, was es nunmal ist: Falsch. Egal, ob uns dieses Selbstbild passt oder nicht.

In diesem Sinne: YOLO!

Lauch_Zucht_Reste

Aus Lauchresten Lauch züchten

Ihr wisst ja, ich gärtnere. Gerne.
Bisher haben ich immer aus Samen oder Setzlingen Pflanzen gezogen, aber nun lief mir kürzlich die Idee über den Weg, aus Gemüseresten neues Gemüse zu züchten. Das musste natürlich ausprobiert werden.

Ich vermute, ihr hattet bereits alle eine keimende Zwiebel zu Hause. Jene könnt ihr wunderbar einpflanzen. Mit dieser Methode hatte ich im letzten Sommer immer frische Lauchzwiebeln auf dem Balkon. Mit Knoblauch geht das natürlich auch. Und halt eben auch mit Lauch.

Ihr nehmt ganz einfach das Wurzelstück, das ihr sowieso wegschmeißen würdet, lasst noch ca. 1-2 cm Lauch dran und setzt es für 1-2 Wochen mit den Wurzeln voran ins Wasser. Am besten eignet sich dafür ein Schnapsglas, wie ich feststellte.

Das Wasser solltet ihr mindestens alle zwei Tage wechseln. Zudem gefällt es dem Fräulein Lauch, wenn ihr ab und an auch die Blätter anfeuchtet. Mit einem Sprühdings zum Beispiel.

 Lauch in Wasser züchten

Der Lauch auf dem linken Bild steht seit ca. 2 Tagen im Wasser. Blätter und Wurzeln beginnen nun langsam zu wachsen. Nach ca. einer Woche sieht er aus, wie auf dem rechten Bild. Nach rund zwei Wochen habe ich ihn dann schlussendlich in einen Topf umgezogen. Dort wächst er nun seither munter vor sich hin.

Lauch_Fensterbank

Lauch_aus_Resten

Sicher. Ihr bekommt aus den Resten keine ebenso große Stange. Aber immerhin. Dafür, dass er eigentlich auf dem Müll gelandet wäre, finde ich das Ergebnis großartig! Ich bin jedenfalls schwer begeistern. Und plane das Ganze baldmöglich auch mit Salat oder Kohl zu versuchen. Einen Salatrest habe ich jedenfalls soeben in ein Glas gesetzt. Mal schauen, was passiert.

 Salat_züchten

Blockland_Bremen_Wümme

Frau Ziege im Blockland

Meine Eltern waren über Ostern zu Besuch und da sich Bremen wettertechnisch doch recht gut benommen hat, waren wir viel draußen: An der Weser, der Schlachte, im Viertel, der Böttcherstraße, in Worpswede (dazu ein anderes Mal mehr) und auch für einen kurzen Abstecher im Blockland: Eine wunderhübsche Marschlandschaft rund um die Wümme, in der es sich hervorragend radfahren lässt, wie der Herr S. und ich letztes Jahr feststellten.

Zum Spazieren eignet sich die Gegend aber selbstverständlich auch. Auf den Deichen zum Beispiel. Oder zum Kaffeetrinken: In einem der Restaurants und/ oder Hofläden. Tiere gibt es natürlich auch jede Menge: Die Vögel schätzen die Ruhe und Tatsache, dass für den Menschen viele Wiesen und Inselchen unerreicht bleiben. Ja. Und Kühe, Hühner oder Ziegen wirken ebenfalls recht zufrieden.

Eine Ziege jedoch, die konnte ihrer Freude mit Worten kaum Ausdruck verleihen. Verlor sich offenbar voll Schwung im Übermut. Überdrehte vollends.
Seht selbst:

Urban_Dschungel_Titel

Die Wüste in mir

Ich träume in letzter Zeit oft von Wüsten. Freundlichen Wüsten. Keine von der kargen oder gar unheilvollen Sorte – sondern solche, die mich durch ihre gutgläubige Wärme zur Ruhe kommen lassen. Wüsten mit schlichtum herrlichen Sonnenuntergängen, kilometerweiten Blick- und irgendwie auch Denkmöglichkeiten. Die mich durchatmen lassen. Orte, die in der Ruhe liegt die Kraft mit wörtlicher Präzision umsetzen.

Ich befinde mich dort meist auf einer Reise. Mit Anfang und Ende. Und der Herr S. ist eigentlich auch immer mit dabei. Insoweit immer, wie das in Träumen eben der Fall sein kann: Denn Gedankensprünge, ur- bis unlogische Ortswechsel, Personenverschmelzungen oder endplötzliche Wendungen sind ja eben nunmal fließend dabei. In Träumen. Sind nuneben irgendwie Sinn und Zweck des Ganzen.

Es handelt sich also um eine Wüste, in der ich allzumal im bettwarmen Sand auf einen Bus wartete. Lange und gerne. Einfach nur dasaß. Bis er, der Sand, zu einem seichten Bach wurde, um mich auf einem Floß in die nahegelegene Stadt zu schiffen. Eine Stadt als Mischung aus Inka-Komplex, Ischtar-Tor und dem Bremer Viertel. Eine perfekte Kombination aus einem tiefen Gefühl von Abenteuer, Neugier, Aufbruch, zu Hause und Geborgenheit. Eine Art Glück gescriptet in einem/ meinem bildlichen Ort.

Seitdem drängt mich ein intimer Hang zur Exotik. Meiner ganz immanenten, eigens erdachten, vollends in der Loipe des Traumes mitschlitternden alltäglichen Privatkonstruktion von Exotik: Gold statt Silber. Lidstrich statt Wimperntusche. Chili statt Pfeffer. Violett statt Rot.

Die Wüste in mir.
Die, wie ich weiterhin feststelle: Kapern statt Petersilie. Lakritz statt Tomaten. Melonenbirnen statt Sonnenblumen – ist:

 Chili im Wohnzimmer

Der Herr S. und ich wagten uns nämlich gestern angesichts unseres allsamstäglichen Weserspazierganges völlig überraschend nach Nordwest, statt üblicherweise Südost – Richtung Weserwehr. Und so strandeten wir schließlich selbsterfüllend in der Bremer Altstadt: Schoben gar gemeinsam mit den Touristen durch die Böttchergasse. Und erinnerten uns schließlich daran, dass wir im letzten Spätsommer einen Tipp bekamen: Ganz in der Nähe des Bremer Marktplatzes sei ein Laden: Einer, der so ziemlich jedwedes Saatgut anbietet. Ein Eldorado. Sozusagen. Dank Google und des dem Herrn S. einfällig bekannten Wortes „Sämerei“ wurden wir tatsächlich fündig:

Zuerst und durchaus unmittelbar hielt ich fieberhaft plötzlich Minigurken in der Hand. Dann weiße Tellerzucchini. Der Herr S. sprach an dieser Stelle bereits eine erste Mahnung aus: Dass es nicht wieder wie im letzten Jahr werden darf. Wie damals, als er allnächtlich von drosselwütigen Ranken träumte. Von Pflanzen, die das Kommando über die Wohnung übernahmen. Über Invasionen und Todessterne aka Seedbombs. Er gebat, dass ich mir maximal zwei aussuchen darf. Zwei Tütchen. Mehr. Nicht. Die Fensterbänke seien schließlich bereits jetzt voll. Wohlbemerkt.

Der Herr S. sprach also – und verschwand seinerseits im Regal der Chilisorten. Er plant nämlich eine Chilizucht. Es sei schließlich auch seine Wohnung. Irgendwie. Ein paar Pötte auf der Fensterbank sollen es bitte auch werden. Mit dermaßen exotisch scharfen Sorten: Dass sie einiges an himmelschreiender Denkwürdigkeit hinterlassen werden mögen.

Ich. Derweil. Stand mit meinen Zucchini, Gurken und eventuell noch ein-zwei weiteren Tütchen inmitten des Ladens. Las die Packungsanleitungen wie Quartettkarten. Erhoffte mir dadurch eine Entscheidung. Erlaubte meinem Blick denntrotzdem ein wenig Auslauf – und verlor ihn schließlich an drei kleinen Drehständchen. Ständchen mit deklariert „Exotischen Kräutern“.

Dies allerdings war eine begriffstiefe Untertreibung sondergleichen: Es gab Samen von Bananen (verschiedene) und sogar Mammutbäumen. Es gab Currypflanzen, Kardamom, schräge Rosmarin-Sorten, Samen von Goji-Beeren und welche, die aussahen wie Jellybeans.

Und so viel mehr. Ich konnte mich nicht entscheiden. Der Herr S. empfahl mir (sparsam ausgedrückt) wenigstens mal hinten rauf zu schauen: Wie groß die werden – zum Beispiel? Ob das überhaupt passt? Mit den Decken. Der Wohnung. Der Realität.

Ich starrte. Durch ihn hindurch. Und: berichtete in gewissenhafter Plausibilität von den bis zu 100 Meter hohen Lakritzbäumen. Die quasi direkt aus meinen Träumen entwuchsen. Er jedoch, seinerseits. Er empfahl dazu: Dass ich mich doch bitte umgehend vor den nahe gelegenen Dom stellen, meinen Kopf in den Nacken legen, und hoch schauen möge. Dann nun bitte nochmals eingehend überlegen solle: Ob ich mir tatsächlich einen Lakritzbaum in ähnlicher Höhe wünsche – oder mindestens (wenigstens) vorstellen kann.

Die 100 Meter entpuppten sich als Zentimeter. Da die Packung von Freud in seiner Freizeit designt wurde. Offenbar. Nun, also: Nahm ich schlussendlich denn drei, statt zwei. Tütchen: Melonenbirnen. Lakritz. Kapern.

Stadtgarten_blog

Mein Text ist ein Beitrag zu dem Projekt *.txt – „Bild“