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Kalt. Nur.

Bremen HanseLife

Es gibt nur eine recht geringe Temperaturspanne in der ich mich wohl fühle. Am liebsten ist mir generell der Herbst – auch wenn ich durchaus tiefenintensiv frieren kann. Ich fange ziemlich schnell an zu zittern und nachdem ich vor diversen Jahren einmal bei Minusgraden Flyer verteilt habe, hatte ich nach 2h kein Gefühl mehr in den Fingern und nach einer weiteren Stunde keinerlei Kontrolle mehr über meine Stimmbänder.

Das war aber rein gar nix gegen die drei Male, die ich beim Castor in und um Gorleben war. Es war so kalt, dass ich teilweise einfach drei Tage so gut wie gar nicht geschlafen habe. Wir haben dort meist in Scheunen mit viel Heu übernachtet. Das war schon schrecklich genug. Eine Nacht musste ich jedoch zusammen mit etwa 200 anderen Leuten und nassen Füßen, draußen auf einem Feld in einem Polizeikessel verbringen. Horror. Nach etwa vier Stunden hätte ich am liebsten geheult, so ausweglos unaushaltbar fand ich die Kälte. Stehen war schrecklich, weil die Beine so durchgefroren waren, dass ich Angst hatte, sie brechen wie nasse, gefrorene Haare einfach, klirr, auseinander. Sitzen ging aber auch nicht: vom Boden ging ein dermaßen frostiger Hauch aus, dass ich ihm so wenig nah wie möglich sein wollte.

Irgendwann stellte sich, obwohl die Temperatur mit 2-3° Grad sogar über dem Gefrierpunkt lag, etwas wie das Titanic-Gefühl ein, die Szene kurz bevor Herr DiCaprio untergeht: Der Moment im Film, in dem die Bewegungen, die Sprache und der Sinnreichtum des Gesprochenen immer langsamer und weniger wurde. Das fällt einem selbst kaum auf. Es war nicht nur kalt als Beschreibung der Umstände, sondern Kalt war alles, was es noch gab. Wurde vom Adjektiv zum Substantiv.

Sanitäter wurden stets nur wiederwillig von der Polizei in den Kessel gelassen. – Nur die, die schon fertige, sichtbare Erfrierungen hatten durften den Kessel verlassen. Ein Dixi-Klo gab es zudem erst, als diverse Männer angefangen haben den Polizisten vor die Füße zu pinkeln. Prollig, aber Argumente gingen ins Leere. Das war die letzte Möglichkeit. Generell – so meine Beobachtung – ist es aber meist so, dass Demonstranten deeskalierend eingreifen, nicht die Polizisten. Menschen mit Thermoskannen und Rettungsdecken wurden erst nach diversen Stunden hineingelassen. Dass Menschen in solchen Momenten in Panik geraten finde ich normal. So war es auch im Kessel: Viele habenoffen Angst bekommen. Nicht wenige waren entweder „zu alt oder zu jung“ für so eine Situation – um es mal pauschal zu sagen. 80% hätten nichtmal im Traum dran gedacht, dass sie und ihre Liederzettel dorthin gelangen könnten.

Im Sonnenaufgang fuhren die frisch auf LKW’s verladenen Castoren an uns vorbei. – Und ich habe geweint. Nicht aufgrund des Ergebnisses an sich, das war mir schon klar, bevor ich hinfuhr. Sondern. Weil sich die ganze Ungerechtigkeit dieser Situation karikativ ballte: Das Eingesperrtsein hatte ja nicht nur die Kälte und die allgemeine Handlungsunfähigkeit zur Folge, sondern zwang mich auch noch in die unmittelbare Nähe der Castoren. Nahm mir mein Recht auf Selbstbestimmung. Gleichzeitig übermannte mich das verzweifelte Glück darüber, dass wir nun endlich frei gelassen werden.

Es hat fast 24h gedauert, bis ich das Gefühl von Kälte tief im inneren meiner Knochen los war.

Wenn ich bei Temperaturen wie den aktuellen, Menschen nachts draußen sitzen sehe. Obdachlose. Wird mir immer für einen Augenblick so kalt wie in diesem Kessel. Fühle mich aber gleichzeitig ätzend. Denn die Nächte in den Scheunen, in denen ich kein Auge zugemacht habe, habe ich a) mit einem ständigen Vorrat an Heißgetränken in b) angemessener Kleidung, mit c) einem Hightech-Schlafsack und vor allem d) mit dem Wissen, dass es bald vorbei ist, verbracht.

Wenn ihr etwas übrig habt, gebt was ab. Langfristig, allumfassend und bis in jede Pore zu frieren ist unerträglich. Schrecklich. Es ist Folter.

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