Vom 12.-19. August findet hier in Bremen das FUNUN-Festival des syrischen Exil-Kulturvereins (SEKu) statt. „Wir wollen mit der deutschen Bevölkerung in Kontakt treten – auf einer Ebene. Wir wollen raus aus diesem Status der Nehmenden. Es ist kein Flüchtlingsfestival, es ist kein Flüchtlingsorchester. Das sind professionelle Musiker.“ So die Initiatorin des Festivals Jasmina Heritani im Interview mit dem Weser Kurier.
Und der Herr S. und ich waren am Sonntag da. In der Bremer Glocke. Das Programm begann mit der Ouvertüre von Mozarts „Entführung aus dem Serail“. Gleich darauf durften wir von Shalan Alhamwy die erste Uraufführung des Abends hören: „Scene III (in dem Ägäischen Meer)“. Seine Komposition widmet er den Menschen, die vor dem Krieg in Angst und Verzweiflung über das Meer fliehen mussten. Shalan Alhamwy „hat diese gefährliche Reise überstanden und seine Musik ist ein Manifest für Angst, Wut und Hoffnung. Gefühle, die ihn während seiner Flucht begleiteten“ (aus dem Programm).
In dem Stück für Violine und kleines Orchester war das Meer als mächtiges Klangvolumen allgegenwärtig – aber auch als sirrende Erkenntnis des Alleinseins, der Angst und eben der Wut. Der Stille inmitten des Tosens. Ein sehr trauriges und einschneidendes Stück. Ich würde es euch gerne zeigen, aber da es eine Uraufführung war, ist es derzeit noch nicht im Netz. Das Können von Herrn Alhamwy will ich euch aber trotzdem nicht vorenthalten. -> Klick.
„Scene III“ ist für mich auch ein Stück des Hinsehens und der Erinnerung: Bis Mitte Juni sind mehr als 3000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Ein Zahl die nicht fassbar ist, die es selbstredend nicht zulässt nicht hinzusehen. Und dennoch wird es getan. Der große Aufschrei angesichts der vielen verunglückten Boote aus dem letzten Jahr ist in 2016 bislang ausgeblieben. Die humanitären Katastrophen hingegen gewachsen. Es ist entsetzlicher geworden. Nicht besser. Auch wenn es nicht so wirkt – auf dem persönlichen Social Media Kanal der Wahl. Die Zäune um Europa und der viel erwähnte schmutzige Türkei-Deal, der uns allen als schmutziger Deal bekannt ist – wirken. Wir sehen es nicht. Wir wissen es nicht. Wir reagieren nicht mehr. Und warum: Eben weil wir schlicht nicht wollen. Die toten angeschwemmten Kinder in den Timelines möchte niemand sehen. Und mal Hand aufs Herz: Wer von euch kannte diese Zahl?
Der erste Teil des Abends wurde mit einer Arie aus der rund 120 Jahre alte Oper Thais des französischen Komponisten Massenet abgeschlossen. Gesungen von Racha Rizk. Mit einem wunderschönen, klaren und rundem lyrischen Sopran. Hier singt sie Händel: -> Klick.
Nach der Pause folgte die zweite Uraufführung des Abends: „Rhapsodie Pathétique – á la mèmorie de la mort des enfants“ von Shafi Badreddin als Nachruf der Kinder Aleppos. Ein Stück, das mich persönlich mit der in den luftleeren Raum, ins entmenschlichte Nichts fragenden Intensität einiger Stücke aus der (Nach)Kriegs-Komposition des zweiten Weltkrieges erinnert hat. Ganz besonders an den „Kaiser von Atlantis“ geschrieben von Victor Ullmann 1943/44 in Theresienstadt. Das Gefühl, das ich damals angesichts der Musik hatte – war wieder da: „Die Protagonisten befinden sich in einer grausam bedeutungslosen Zwischenwelt, in der alles ist und es doch keinerlei Handlungsspielraum gibt. Handeln ist kein Willensakt mehr, sondern eine externe Unmöglichkeit.“
Das Stück klingt für mich durch Disharmonien nach einer Unmöglichkeit des Seins, die vom sekündlich anwesenden Tod ausgeht – und schlimmer noch: Vom Tod der Kinder, der Zukunft, der Hoffnung. In zerrend fast-harmonisch klingenden Tönen. Wie neben dem Leben. Sehr schrecklich. Denn tote Kinder sind nur in einer Denke plakativ, die nicht in Gänze begreifen kann, was tote Kinder bedeuten. Das Stück von Shafi Badreddin jedoch blieb dort nicht. Es malte sich unermüdlich zurück in die Ton-Harmonien. Ins Leben – um sie dann wieder zu verlieren.
Das Stück von Shafi Badreddin für Orchester und Qanun (eine Kastenzither) wurde von Taufik Mirkhan als Solist an der Qanun begleitet. Hier bekommt ihr einen Eindruck von seinem Können -> Klick. Es folgten noch ein weiteres Stück von Ahalan Alhamwy, von Wanis Wartaniyan und Mohmad Abd Alkarem.
Das Festival zeigt die syrische Kultur, die im Begriff ist in vielen Teilen ausgelöscht zu werden. In all ihren Facetten, in Schönheit, in Handwerk und Kulturreichtum. In Syrien lebten vor dem Bürgerkrieg rund 21 Millionen Menschen. Laut Uno-Flüchtlingshilfswerk befanden sich 2015 über die Hälfte von ihnen, nämlich 11,5 Millionen auf der Flucht: 6,6 Millionen innerhalb des eigenen Landes und 4,9 Millionen außerhalb.
In Aleppo findet aktuell einer der größten humanitären Katastrophen der Welt statt. 2010 lebten dort rund 2,5 Millionen Menschen. Heute ist die Stadt zum größten Teil von der Versorgung abgeschnitten. Es gibt Luftangriffe auf Krankenhäuser, Hunger, Durst, allgegenwärtiger Tod, Fassbomben. Derzeit sind Schätzungen der UN zufolge rund 300.000 Menschen in Aleppo eingeschlossen. Und in vielen Nachrichten bleibt es eine Randnotiz. Einen Artikel der Meedia, den ich Dank Johanna gefunden habe: „Tod und Spiele in den Medien: Warum die ganze Welt in Rio zu- und in Aleppo wegschaut“ möchte ich euch daher sehr ans Herz legen.
Dies ist (m)ein Beitrag zu meiner Blogparade #bubbleescape. Sie läuft noch bis zum 31. August 2016. Also krempelt die Ärmel hoch und macht mit!
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