Ihr entschuldigt meine lange Abwesenheit:
Ich habe mich unterhalten.
Eigentlich wollte ich nur beim Deutschlernen helfen. So der Plan. Irgendwie. Zumindest halt ein Bisschen. Keine große Sache. Aber nachdem wir „Wie heißt du“ und „Wie ist das Wetter“ hinreichend geklärt hatten, kamen andere Themen: [-> Auf Englisch]. Dies. Das. Kaffeegewohnheiten. Bücher. Bilder. Musik. Kunst. Vor allem Kunst. Und Politik. Mit Hochspannung haben wir uns Dinge gezeigt. Sie verstanden – oder eben nicht. Haben ein ganzes Heer von Fragezeichen ausgetauscht. Und genauso viel „Yeees! – genau das!“
Ja. Und genau dann, in diesen Momenten, der sich verflechtenden Freundschaft, wenn alles irgendwie leicht erscheint und sich menschliche Grenzen wie Wasserfarben auflösen: Dann fließt die Realität des Krieges ohne jedweden Damm. Ohne den Schleier einer anonymen Masse. Erlebnisse und Fotos zu denen mir nicht mehr als ein flüsterndes „ja“ eingefallen ist. Sie prügeln tiefe Kerben in sämtlich alle Gedanken. Verändern tatsächlich alles. Erschüttern.
Welt-Geschehnisse, die ich selbstredend kenne. Auch die Bilder. Alle Bilder. Sie rasen jeden Tag durch die Medien. – Aber nicht durch meinen Freundeskreis. Bisher. – (Be)trafen mich „nur“ als Teil einer Gesellschaft, als unerbittliche Frage, wer wir in dieser Welt sein wollen. Wie wir weiterhin auf das Selbstbild einer humanistischen Gesellschaft bestehen können, während wir sehenden Auges Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen. Zu 1000. Diese Bilder haben mich schon bis zur Verzweiflung debattieren lassen. In meiner Realität, in Distanz – in unser Debattenwelt. In Sicherheit. Irgendwann fast selbst glaubend, es wäre ein riesiger Kraftakt diese Menschen wenigstens nur zu retten. Dass es ein solch komplex verworrenes Problem wäre. Dabei geht es im Verhältnis der Weltlogik um wirklich wenig Geld. Und die Aufnahme von Geflüchteten löst hier auch nicht die Sozialsysteme auf. Die Butter wird nicht teurer und die Weltwirtschaft bekommt nicht einmal kurz Schluckauf.
Kurzum hier in Deutschland gibt es keine Krise. Es ist zynisch und abstoßend nazistisch dies anzunehmen. Die Krise befindet sich dort wo der Krieg ist. Dort wo die Menschen jeden Tag hungern und sterben. Dort wo alles, aber auch wirklich alles zerstört ist.
Und ich frage mich, was das ist? Wie sind wir dazu gekommen, in Problem-Kategorien zu denken, die realistisch betrachtet, schlicht und ergreifend the daily work of Politik sind? Die lösbar sind. Wann wurde verlernt relevant zu denken? Wann war der Punkt, an dem hier einige dem Wahn verfallen sind, aus lösbaren politischen Aufgaben, wie die Aufnahme von Geflüchteten, Probleme epischen Ausmaßes zu eskalieren? Krisen werden so lange herbeigebetet, bis es sie tatsächlich gibt. Krisen werden nicht mehr durch Realität, sondern durch Meinungen definiert. Ein wenig, wie ein Börsencrash, der nichts mit der tatsächlichen Gesundheit gehandelter Unternehmen zu tun hat, sondern sich selbst füttert, sobald eine hinreichend große Masse an Aktien abgestoßen wurde – bis hin zur tatsächlichen Krise. Krisen als selbsterfüllende Prophezeiung.
Die Äußerungen der AfD, Menschen an den deutschen Grenzen erschießen zu lassen, kommen mir so absurd vor, dass mir ein Verhaltensrepertoire dazu fehlt. Sie zeugen von tiefer Boshaftigkeit, von einer hässlichen Persönlichkeit. Und von einer Persönlichkeit, die dem nazistischen Wahn verfallen ist, es gäbe ein Problem von derart gigantischem Ausmaß, dass Opfer unabwendbar seien. Dass Entscheidungen getroffen werden müssen – und zwar von ihm/ ihr höchstselbst. Und: Das. Stimmt. Schlicht. Nicht. Es gibt eine große Aufgabe, aber kein unlösbares Problem – welches auch nur ein kleines Bisschen rechtfertigt sämtliche Verfassungsgrundsätze panisch über Bord zu werfen. Den nationalen Notstand auszurufen. Europa aufzulösen.
Ich weiß, wirklich und ehrlich nicht, was nun zu tun ist. Teile Apelle zum Aufstand der Anständigen. Twittere. Manchmal. Nachts. Schaue mir entsetzt Papp-Panzer auf Karnevalsumzügen an. Like still Kommentare des Aufschreis. Schreibe mitunter auch selbst etwas. Und merke vor allem eins: Ich bin nicht vorbereitet. Ich habe keine Ahnung, wie ich auf eine derart offene Gewaltandrohung reagieren soll. Wie ich mit Menschen umgehen soll, die eskalieren, weil sie eskalieren wollen. Weil sie sich das Gefühl der eigenen Welt-Relevanz so sehr herbeisehnen, dass sie ausnahmslos alles dafür sagen und tun würden. Die eigene Person um jeden Preis erheben wollen. Die Nazi-Klimax quasi ungehindert immer weiter hinaufhassen.
Und. Derweil google ich jeden Morgen, jede Nacht vor dem Schlafengehen, ob und wo eine Unterkunft brennt. In Sorge um einen Freund. Ich fühle Resignation.
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Ich möchte an dieser Stelle eine Doku in der WDR-Mediathek empfehlen:
My Escape
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