Ich träume in letzter Zeit oft von Wüsten. Freundlichen Wüsten. Keine von der kargen oder gar unheilvollen Sorte – sondern solche, die mich durch ihre gutgläubige Wärme zur Ruhe kommen lassen. Wüsten mit schlichtum herrlichen Sonnenuntergängen, kilometerweiten Blick- und irgendwie auch Denkmöglichkeiten. Die mich durchatmen lassen. Orte, die in der Ruhe liegt die Kraft mit wörtlicher Präzision umsetzen.
Ich befinde mich dort meist auf einer Reise. Mit Anfang und Ende. Und der Herr S. ist eigentlich auch immer mit dabei. Insoweit immer, wie das in Träumen eben der Fall sein kann: Denn Gedankensprünge, ur- bis unlogische Ortswechsel, Personenverschmelzungen oder endplötzliche Wendungen sind ja eben nunmal fließend dabei. In Träumen. Sind nuneben irgendwie Sinn und Zweck des Ganzen.
Es handelt sich also um eine Wüste, in der ich allzumal im bettwarmen Sand auf einen Bus wartete. Lange und gerne. Einfach nur dasaß. Bis er, der Sand, zu einem seichten Bach wurde, um mich auf einem Floß in die nahegelegene Stadt zu schiffen. Eine Stadt als Mischung aus Inka-Komplex, Ischtar-Tor und dem Bremer Viertel. Eine perfekte Kombination aus einem tiefen Gefühl von Abenteuer, Neugier, Aufbruch, zu Hause und Geborgenheit. Eine Art Glück gescriptet in einem/ meinem bildlichen Ort.
Seitdem drängt mich ein intimer Hang zur Exotik. Meiner ganz immanenten, eigens erdachten, vollends in der Loipe des Traumes mitschlitternden alltäglichen Privatkonstruktion von Exotik: Gold statt Silber. Lidstrich statt Wimperntusche. Chili statt Pfeffer. Violett statt Rot.
Die Wüste in mir.
Die, wie ich weiterhin feststelle: Kapern statt Petersilie. Lakritz statt Tomaten. Melonenbirnen statt Sonnenblumen – ist:
Der Herr S. und ich wagten uns nämlich gestern angesichts unseres allsamstäglichen Weserspazierganges völlig überraschend nach Nordwest, statt üblicherweise Südost – Richtung Weserwehr. Und so strandeten wir schließlich selbsterfüllend in der Bremer Altstadt: Schoben gar gemeinsam mit den Touristen durch die Böttchergasse. Und erinnerten uns schließlich daran, dass wir im letzten Spätsommer einen Tipp bekamen: Ganz in der Nähe des Bremer Marktplatzes sei ein Laden: Einer, der so ziemlich jedwedes Saatgut anbietet. Ein Eldorado. Sozusagen. Dank Google und des dem Herrn S. einfällig bekannten Wortes „Sämerei“ wurden wir tatsächlich fündig:
Zuerst und durchaus unmittelbar hielt ich fieberhaft plötzlich Minigurken in der Hand. Dann weiße Tellerzucchini. Der Herr S. sprach an dieser Stelle bereits eine erste Mahnung aus: Dass es nicht wieder wie im letzten Jahr werden darf. Wie damals, als er allnächtlich von drosselwütigen Ranken träumte. Von Pflanzen, die das Kommando über die Wohnung übernahmen. Über Invasionen und Todessterne aka Seedbombs. Er gebat, dass ich mir maximal zwei aussuchen darf. Zwei Tütchen. Mehr. Nicht. Die Fensterbänke seien schließlich bereits jetzt voll. Wohlbemerkt.
Der Herr S. sprach also – und verschwand seinerseits im Regal der Chilisorten. Er plant nämlich eine Chilizucht. Es sei schließlich auch seine Wohnung. Irgendwie. Ein paar Pötte auf der Fensterbank sollen es bitte auch werden. Mit dermaßen exotisch scharfen Sorten: Dass sie einiges an himmelschreiender Denkwürdigkeit hinterlassen werden mögen.
Ich. Derweil. Stand mit meinen Zucchini, Gurken und eventuell noch ein-zwei weiteren Tütchen inmitten des Ladens. Las die Packungsanleitungen wie Quartettkarten. Erhoffte mir dadurch eine Entscheidung. Erlaubte meinem Blick denntrotzdem ein wenig Auslauf – und verlor ihn schließlich an drei kleinen Drehständchen. Ständchen mit deklariert „Exotischen Kräutern“.
Dies allerdings war eine begriffstiefe Untertreibung sondergleichen: Es gab Samen von Bananen (verschiedene) und sogar Mammutbäumen. Es gab Currypflanzen, Kardamom, schräge Rosmarin-Sorten, Samen von Goji-Beeren und welche, die aussahen wie Jellybeans.
Und so viel mehr. Ich konnte mich nicht entscheiden. Der Herr S. empfahl mir (sparsam ausgedrückt) wenigstens mal hinten rauf zu schauen: Wie groß die werden – zum Beispiel? Ob das überhaupt passt? Mit den Decken. Der Wohnung. Der Realität.
Ich starrte. Durch ihn hindurch. Und: berichtete in gewissenhafter Plausibilität von den bis zu 100 Meter hohen Lakritzbäumen. Die quasi direkt aus meinen Träumen entwuchsen. Er jedoch, seinerseits. Er empfahl dazu: Dass ich mich doch bitte umgehend vor den nahe gelegenen Dom stellen, meinen Kopf in den Nacken legen, und hoch schauen möge. Dann nun bitte nochmals eingehend überlegen solle: Ob ich mir tatsächlich einen Lakritzbaum in ähnlicher Höhe wünsche – oder mindestens (wenigstens) vorstellen kann.
Die 100 Meter entpuppten sich als Zentimeter. Da die Packung von Freud in seiner Freizeit designt wurde. Offenbar. Nun, also: Nahm ich schlussendlich denn drei, statt zwei. Tütchen: Melonenbirnen. Lakritz. Kapern.
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