Der Herr S. und ich sind umgezogen. Aber das wisst ihr ja sicher schon längst. Manche von euch gar in der ausufernden Ausführlichkeit, dass sie live mit dabei waren: Beim Bücherschleppen.
Ich habe sie allesamt hübsch verpackt: In kleine handliche Kartons. Viele kleine handliche Kartons. Sehr viele. Und als ich davon keine mehr hatte; Da habe ich sie ganz einfach getarnt: In anderen Kisten. Kisten voller Festplatten, Lüfter oder Kabel zum Beispiel. Aus denen der Herr S. beim nächsten Weltuntergang ein Raumschiff zu bauen gedenkt. Bestimmt. Deswegen sammelt er das auch. Alles. Akribisch. Kistenweise.
Dort jedenfalls inmitten des Raumschiff-Bausatzes habe ich welche versteckt – und in der Bettwäsche, unter dem Nudelsieb oder in der Teekiste. Genau genommen überall. In allen Kisten. Aber all jene Tarnung täuschte sie nicht – die Helfer und noch weniger den Herrn S.: Noch am Abend der großen Schlepperei, gleich nach dem großen Grillen, ist der Herr S. zusammen mit 70% der initiativ eingreifenden Helfer losgefahren: Um mehr Bücherregale zu kaufen. Drei weitere, deckenhohe, hübsche Bücherregale.
Jetzt haben die Herrschaften Bücher also endlich wieder Platz. Endlich Raum zum Atmen und Singen und Schwingen: In der alten Wohnung standen sie doppelreihig gestapelt. Hektisch gequetscht wie in einer vollen beklemmenden U-Bahn. Auf dem Weg zur Arbeit. Mit irgendwas To-Go in der Hand. Traurig und müde und allein unter vielen.
Ja! Und nach jener dringend notwendigen Entzerrung all dieser gesammelten Inhalte, kam es dann erst richtig zum Vorschein: DAS Chaos. Eben jenes, welches nicht gleicht zu sehen ist. Das sich unter dichten klebrigen Spinnnetzen über die Zeit ins Hirn reinstenografiert hat. Stetig Tropfen höhlt den Stein:
Die Frage nach der geografischen Lage des Lichtschalters. Zum Beispiel. Eben, wenn man des Nachts inmitten der neuen Wohnung steht. Richtung Toilette schleichen möchte. Im Halbschlaf und einzig aus dem Stammhirn heraus. Sich jedoch wie in einem bedeutungsschwangeren Irrgarten-Traum wiederfindet. Vollends orientierungslos. Hellwach.
Ähnlich verfusselt irrt und wirrt nun auch mein Blick vom Schreibtisch aus dem Fenster. Es fehlen schließlich die üblich bekannten Ruhekissen: Die vertraut gleichstellig dastehenden Bäume – die in denen ich mich eine Weile ausruhen konnte, das Hirn sanft schaukeln konnte. Für ein paar kuschelige Minuten. Und. Es fehlt die Taube (eventuell waren es auch mehrere), die stets im Baum gegenüber auf den viel zu dünnen Ästen für ihren viel zu kugeligen Körper zu landen versuchte und dann wild empört wie eine Ertrinkende mit den Flügeln umherschlug, als jene unter ihr hinwegknickten, Jedes Mal. Täglich. Mehrfach. Als festes Ritual: Für sie – für mich.
Derzeit sirrt mein Blick umher, freundet sich grad erst mit zwei Meisen an – die offenbar eine seichte Freude darin erkennen als Tiefflieger unter dem Balkondach herzukreisen. Als genüssliche Kunst in ihrem Alltag. Als Pause von der mühsamen Futtersuche. Bestimmt.
Und wäre dies nicht schon Aufgabe genug. Genug Chaos. Wurde eben jenes noch rücklinks überholt! Und zwar vom Zustand der Internetlosigkeit. Eine Gegebenheit, die ich seit Jahren nicht kenne und erst recht nicht möchte. Gut: Es gab da kürzlich drei Tage im Harz – aber: Hach, im Urlaub ist eine solch waghalsige Prise Exotik schließlich durchaus erwünscht. Zu Hause jedoch, hier im kuscheligen Bremen – da habe ich es eben lieber klassisch. Mit und inmitten im Wlan.
Nun. Mittlerweile haben wir es wieder, das Internet. Zumindest fast (gar nicht) so, wie bestellt: Nach etlicher Fassungslosigkeit, lautem Krach und ich möchte es durchaus offenen Betrug seitens unserer Telefongesellschaft nennen. Aber jene überheizten Details erspare ich euch und mir an dieser Stelle. Ganz einfach.
Jedoch sei erwähnt, dass sie (die Internetlosigkeit) als Eckball, als Zünder des derzeitigen Zustandes fungierte. Denn mit der innerlichen Neuordnung meiner Stromkreisläufe ganz ohne Playlisten, Lieblingsvideos und Internetspaziergänge zog das Puzzle bei uns ein. Erst eins. Dann zwei. Und nun, seit gestern Abend ist bereits No. 3 abgeschlossen und fertig ineinander sortiert. Ineinander strukturiert – gewissermaßen. Denn ihr wisst ja bestimmt, was die Menschheit in müheselig kombinierender Puzzlearbeit bereits herausgefunden hat:
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
Eine Melodie ist mehr als die Summe ihrer Noten. Ein Bild mehr als die Summer seiner Teile. Ein Mensch mehr als die Summe seiner Bücher. Und eine Wohnung mehr als die Summe ihrer Räume.
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