Politik & Netzpolitik
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Piraten – der Kampf um Passierschein A38

Piraten Durchblick

Kaum zu glauben, dass ich innerhalb weniger Wochen mein zweites Piraten-Posting blogge, aber nun, was soll ich sagen: Sie bieten sich zur humoristischen Weiterverarbeitung so kreischend dankbar an.

Diejenigen unter euch, die das Kleingedruckte in den Nachrichten lesen, wissen eventuell, dass das letzte #gate erst wenige Momente her ist. Und für die, die bisher keine Lebenszeit erübrigt haben, um sich mühevoll in die Milchglas-Transparenz-Sprache der Piraten einzuarbeiten, sei hinzugefügt, dass so die (Selbst)Verfehlungen der Piraten benannt werden: z.B. #bombergate (die Sache in Dresden kürzlich) oder #ottergate (auch kürzlich, aber laut eigener Angaben nicht weiter wichtig). Ach. Und nicht zu vergessen: #keinHandschlag gibt es derzeit auch noch: Es mag den allermeisten im Mikro- und Makro-Weltgeschehen nicht weiter aufgefallen sein, aber ein Teil der Piraten befindet sich seit einigen Wochen im Streik.

Jedenfalls bzw. zugegeben, habe ich mir gestern mit Hochgenuss die reinwabernden #piraten-Tweets reingezogen. Mit sagenhaften Verfehlungen. Dabei Salzstangen geknabbert und als Team „Fortgeschritten“ in Sachen Piraten-Popcorn wissen Herr S. und ich natürlich, dass man die größten Brüller in den Replies findet. Diese lassen sich dann auch wunderbar mit verstellten Stimmen vorlesen. Wir nennen es euphemistisch Kunst – und tun es dann weg.

 

Ach. Und für den voyeuristischen Fall, dass es irgendwen von euch interessiert, was gestern denn nun schon wieder passiert ist, wer wem diesmal das Sandförmchen weggenommen hat: Teile des Vorstandes sind gestern (in Worten: zehn Wochen vor der Europawahl) zurückgetreten. Und zwar in einem ausreichend großen Teil, so dass der Vorstand nun faktisch handlungsunfähig ist.

Warum? Darum! Und weil irgendwer kein Eis bekommen hat.

Kurz zusammengefasst: Ein Teil der Piraten-Partei möchte sich lieber, nur und ausschließlich mit Netzpolitik-Themen beschäftigen; ein anderer jedoch vertritt die Position, dass Netzpolitik nicht in einer Art Vakuum steht, sondern ohne klare Positionierungen zu Themen, wie Asylpolitik, Gesundheitspolitik, etc. pp. nicht mit Inhalt gefüllt werden kann.

Viele von euch neigen nun vermutlich zu dem Vorschlag, dass doch einfach dann jeder das tut, was er möchte und für wichtig erachtet. Aber. Ähm: Nein. Punkt. Und warum nicht? Darum nicht. Und Eis.

 

Denn. Genau genommen geht es meines Erachtens (und aus meiner Sicht von halb-außen) darum nämlich eigentlich auch wieder nicht. Sondern um Lagerkämpfe. Darum, ob die Partei zu links(extrem) geworden ist. Aber auch darum, dass einige früher alles besser fanden: Als die Piraten noch relevant genug waren, um in der Heute Show erwähnt zu werden und als man mit 10.000 Twitter Followern noch Buchverträge von Bertelsmann zugejubelt bekam. Kurzum, als es den Kaiser noch gab und die jubelnden Massen. Den Flausch und das tägliche Schwimmen in der Bällebad-Menge. Es geht vielen auch darum, dass die Piraten, die mit Snowden und der einhergehenden offenen Akzeptanz der NSA-Praktiken durch das konsequente Nichts-Tun unserer Bundesregierung, eine fast schon historische Vorlage bekommen haben. – Und es auf so dramatische Weise verkackt haben, dass vielen das Herz blutet (inklusive mir). Dass die Piraten derzeit trotzdem noch bei positiv geschätzten 2% liegen, haben sie vermutlich doch wiederrum nur Snowden in Kombination mit den vielen Kopf-Tisch-Aktionen der Groko zu verdanken.

Aber es wäre natürlich auch wieder völlig falsch zu behaupten, dass die Themen, die Inhalte, die Politik den Leuten innerhalb der Piraten egal sind, dass die Piraten sich nur für sich selbst interessieren. Es macht auf mich vielmehr den Eindruck, als wenn verzweifelt versucht wird aus dem Hamsterrad der Piraten-Mühlen auszubrechen, Befreiungsschläge versucht werden. Immer verzweifelter versucht wird die Entropie-Spirale aufzuhalten. Dinge getan werden. Positionen und Lösungen gesucht werden. Die einen schlagen das vor, die anderen das Gegenteil und wieder andere fühlen sich dann übergangen. Und das wohlbemerkt mit 500 Leuten im Mumble (= Team-Speak-Software). Und ja: Gleichzeitig.

Viele Piraten Blicken auf die Trümmer ihrer Arbeit. Viele haben jahrelang alles Mögliche nicht getan, weil sie das mit den Piraten getan haben. Weil sie an diese Idee geglaubt haben, darum gekämpft haben. Darum, dass Transparenz in der Politik einiges fairer gestaltet und um den Glauben, dass genau dies Politik gerechter macht.

Es ist die Idee, die vielen wichtig ist. Aber. << Ja, genau: Aber: Und das wird meiner Meinung nach so sehr tabuisiert, dass nur nach stundenlangem Alkoholgenuss und mit vorgehaltener Hand darüber gesprochen wird: Es geht auch um finanzielle Nöte und um Konkurrenz. Derjenigen (und nein, ich meine nicht alle, sondern meine es exemplarisch), die sich abrackern, die nicht nur ihre Freizeit opfern. Die, die mit einem Master-Abschluss in Gesellschaftswissenschaften vor einer Karriere als Taxifahrer stehen. Die, die betrunken und traurig flüstern, dass sie sich eines Tages einen Vorstandsposten in der Partei erhoffen, einen Sitz in einem, irgendeinem Parlament. Einen bezahlten Sitz. So richtig und mit Renten- und Krankenversicherung. Es geht darum eine Art innerparteiliche Berühmtheit zu werden, es geht um Twitter-Follower und angstvollem Neid, dass der eigene Kopf nicht präsent genug ist, um die Themen zu verkörpern. Dass sich durch diesen Konkurrenz-Kampf das eigene Sprachrohr kaputt-gerantet wird, ist traurig-paradox. (<< Das wiederrum geht an alle. Auch an mich.)

(Das Konkurrenz-Neid-Ding ist im Übrigen in weiten Teilen des nicht-piratigen Netzes auch nicht anders. Letztes Paradebeispiel ist das Projekt Analogbotschaft. Ein Zusammenschluss von Twitteren, die ihre besten Tweets auf chic gestaltete Postkarten drucken und diese dann verkaufen. Das hat derartig harte Hass-Neid-Wellen losgetreten, dass sich die Leute nun nichts anderes mehr trauen, als ihre Einnahmen an einen guten Zweck zu spenden – und nicht an sich. So ändert man natürlich die Tatsache, dass viele gute und wichtige Netz-Projekte Finanzierungsschwierigkeiten haben. Nicht.)

Die Piratenpartei ist ein ehrenamtlicher Apparat voll mit Menschen, denen die Zukunft den Mittelfinger zeigt (jetzt meine ich wieder nicht alle), die sich aber standhaft weigern sich in die Reihen der geprügelten Hunde und hassenden Stammtisch-Rassisten einzureihen. Die an der Idee von einer Welt festhalten, in der ein gerechtes und selbstbestimmtes Miteinander gelebt wird. In der jeder eine Stimme hat. Es sind wirklich gute Menschen, die versuchen etwas Neues zu denken. Ein neue Form von Politik zu erdenken – und zu ermöglichen. Die etwas sehr Mutiges tun.

Die Piraten sind eine Idee, sie sind ein neuer Ausdruck von Politikverständnis. Und auch Ausdruck neuer Möglichkeiten durch das Internt. Befinden sich noch völlig am Anfang. Und auch wenn es jetzt realistischerweise wohl erstmal heißt R.I.P. Piratenpartei, heißt es trotzdem nicht, dass die Idee schlecht es. Es heißt nur, dass sie so (noch?) nicht funktioniert.

Der Soap-Charakter dieser Partei ist sagenhaft. Glaubt mir, das ist nur die Spitze des Eisberges. Die kleine leise funkelde Spitze. Für den Moment heißt es nun erstmal: Es muss neu gewählt werden. Und es mag einige von euch überraschen, aber das geht nicht eben so zack-zack im Internet, nicht mal per Briefwahl. Denn es ist eines der größten Irrtümer, denen die allermeisten Menschen über die Piraten erlegen sind: Nämlich, dass die Piraten irgendwas im Internet entscheiden würden. Das ist schlicht falsch bzw. gibt es gerade erste Versuche das zu ändern. Doch: Das bisherige Tool „Liquid Feedback“ ist genau das, was es bedeutet: Irgendwas mit Rückmeldung. Punkt. Und Twitter ist Twitter. Facebook ist Facebook. Und Blogs sind Blogs. Für Wahlen, Programmentscheidungen, etc. pp. muss jedes Mal (ja, wirklich jedes Mal) ein Parteitag einberufen werden.

 

Fazit: Es sind viele, wirklich viele sehr genervt. Inklusive mir. Aber ich werde (und das mag einige überraschen) sie zur Europawahl dennoch wählen. Und zwar (und das überrascht wiederrum mich, weil ich nach dem Prinzip eigentlich aus Prinzip nicht wähle) nicht weil mich die Partei überzeugt, sondern die jeweiligen Einzelpersonen auf den Listenplätzen.

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