Einfach sind sie ja nie. Die Geburten. Und schön? Na ja. Das bezweifel ich einfach mal. „Tat unfassbar weh, aber ich wusste ja, wofür. Und dann als es vorbei war, wars einfach wunderbar“ – Ist so ziemlich das euphorischste über Geburten, was ich gerade noch so glauben kann. Manchmal. Mit viel good will und an Tagen, die in Glitzer getränkt sind.
First Step – Smooth hineinschlittern
Bei mir wars leider weder schön und schon gar nicht leicht. Auch, wenn es eigentlich ganz entspannt anfing. Geradezu lehrbuchartig. Ich hatte in der Nacht von Donnerstag auf Freitag erste Wehen. Schmerztechnisch lächerlich. Gemessen an dem, was noch kam. Aber das wusste ich damals noch nicht. Sie kamen recht regelmäßig: Mal alle 5 Minuten, mal alle 10 Minuten und dann mal wieder alle 20 Minuten. Dauerten rund eine Minute und waren etwa vergleichbar mit einem hübschen Periodenkrampf. Nur nicht so stechend, ziehend, eher rollender und flächiger. Ich lag die Nacht also wach, guckte Quatsch im Internet, schwang mich von Wehe zu Wehe und war aufgeregt glücklich. Immerhin war ich auch schon drei Tage überfällig.
Am Freitagvormittag lief ich zusammen mit Herrn S. und vor mich hinwehend zu einer Routinekontrolle bei meiner Frauenärztin. „Bewegung soll ja gut sein, um Geburten voran zu treiben,“ dachte ich mir. Die Ärztin stellte einen 2 cm (von 10 notwenigen) geöffneten Muttermund fest und prophezeite, dass es wohl nicht mehr lange dauern wird. Wieder zu Hause harrten wir der Dinge und die Wehen wurden langsam stärker.
Second Step – Panic ohne Grund
Gegen zwei riefen wir im Kreißsaal an, um uns bei der diensthabenden Hebamme zu erkundigen, wann denn nun eigentlich Wehen so stark sind, dass ein Aufbruch in die Klinik angemessen ist. Die Antwort war ähnlich vage, wie sämtlich alle Antworten dazu, die sich im Internet so finden lassen: „Wenn Sie sich zu Hause nicht mehr wohl fühlen, dann ist es Zeit aufzubrechen.“ Mit dieser Unwissenheit fühlte ich mich nun ganz und gar nicht mehr wohl. Gegen drei brachen wir auf. Um halb vier lag ich im CTG (= Wehenschreiber). Die Frau hinter der charmanten Krankenhausgardine neben der meinen, brüllte, weinte, war wirklich verzweifelt. Ob der Schmerzen. Ihr Muttermund war bei 4 cm. Eine Hebamme und ihr Mann versuchten sie zu ermutigen. Zwecklos. Ich bekam es schlagartig mit der Angst zu tun.
Ich sollte nun noch weiter untersucht werden und dann auf mehr warten. Mehr Schmerz. Und während wir so vor uns hinwarteten, wurde es langsam aber stetig mollig warmfeucht unter meinem Hintern. Ich berichtete Herrn S. und hoffte damit Recht zu haben: .“…., dass ja viele Schwangere zum Ende hin unter Inkontinenz leiden. Aber dass ich mir sicher bin, dass das nicht aus meiner Blase kommt“. Eine Hebamme brachte mir eine Inkontinenz-Unterlage für meinen Stuhl und diagnostizierte nüchtern, das sei Fruchtwasser. – Genau, wie die kurz darauf untersuchende Ärztin.
Third Step – Immer aufrecht bleiben
Mir wurde ein Zimmer auf der Wochenbett-Station zugewiesen sowie erläutert, dass nach Platzen der Fruchtblase die Wehen meist sehr schnell sehr heftig werden, wenn sich aber nach 12 Stunden noch nix tut, eingeleitet werden muss. Wegen der Infektionsgefahr. Ich ging erstmal duschen. Und im Anschluss gemeinsam mit dem Herrn S. den Krankenhausflur auf und ab. Nach rund einer Stunde wurde es ungemütlicher. Um halb acht schrieb ich an meine Familien-Whatsapp-Gruppe, dass mir so langsam dämmert, was da eigentlich in Sachen Schmerzen auf mich zurollt. Kurz darauf war mein gepustetes Gejammer über den ganzen Flur zu hören.
Um halb neun hatte ich die nächste CTG-Kontrolle. Auf dem Weg dorthin musste ich mich alle paar Meter auf ein Fensterbrett, eine Stuhllehne oder auch gegen den Arm vom Herrn S. lehnen. Die Wehen kamen alle 3 Minuten und hinter den anderen Vorhängen im CTG-Raum wurde es merklich ruhiger, als ich, meine Wehen und mein Urschrei-Gepuste immer näher kamen. Ich vermute, die Frauen erlebten nun einen ähnlich erhellend furchterregenden Moment, wie ich wenige Stunden zuvor.
Alldieweil lief ich immernoch aus. Denn ihr müsst wissen: Zum Ende der Schwangerschaft liegt der Kopf des Kindes tief im Becken, so tief im Becken, dass er wie ein Stöpsel fungiert. So eine Fruchtblase platzt also in den allermeisten Fällen nicht wie im Film mit einem riesen Schwall. Das tut sie nur, wenn das Kind zu früh dran ist und noch recht weit oben liegt. Bei mir tröppelte das Fruchtwasser halt so raus. Langsam. Stetig. Und so, dass die Monster-Binden aus dem Krankenhaus auch nicht verhindern konnten, dass mein kompletter Hintern nass war. War mir aber egal. Zu dem Zeitpunkt.
Sobald ich am CTG lag wurden die Wehen um ein ordentliches Stück heftiger. Zuvor bin ich noch ganz gut mit Atmen gegen die Schmerzen angekommen, aber nun nicht mehr. Zumindest nicht mehr ohne Unterstützung. Eine Hebamme half mir die Wehen zu veratmen. Ich bettelte wieder aufstehen zu dürfen. Liegen war eine einzige Qual. Die Hebamme erlöste mich. Ich signalisierte, dass ich weiter den Flur auf- und abgehen möchte. Merkte aber nach wenigen Metern, dass es kaum mehr möglich war.
Fourth Step – Check-in in the Kreißsaal
Wir drehten wieder um. Richtung Kreißsaal. Es war nun etwa kurz nach neun. Vor dem Kreißsaal standen zwei Männer und diskutieren mit einer Hebamme. Sie wollten offenbar rein zu ihrer Tochter/ Nichte/ Bekannten, um? Was auch immer? Ich habe nicht mehr genau hinhören können. Die Hebamme ließ sie nicht durch. So eine Geburt ist schließlich kein Familien-Kaffeeklatsch. Diskussionen auf beiden Seiten. Und ich stand winselnd dahinter. Alle 2 bis 3 Minuten wurde das Winseln zu einem brüllenden Peak. Die diskutierenden Männer störte das herzlich wenig. Es dauerte noch 4, 5 oder 6 Wehen, bis die Hebamme sie endlich abwimmeln und sich mir zuwenden konnte.
Mir wurde ein Zimmer zugewiesen und jemand bot mir an, mir auf das Bett zu helfen. Ich wollte alles nur nicht liegen und lehnte mich stehend auf das Bett. Die Hebamme untersuchte meinen Muttermund: 4 cm. Die Wehen kamen nun fast ohne Pause. Ich brüllte. Von der Sorte Urgewalt. Die Hebamme legte ihre Hand auf mein Steißbein: „Da muss es hin. Das Baby. Und nicht so brüllen. Kraft sparen. Bleib fester auf dem Boden stehen.“ Das war zwar völlig unmöglich umzusetzen, aber dennoch in dem Moment so ziemlich das hilfreichste, was sie hätte tun oder sagen können. – So hatte ich immerhin eine Aufgabe.
Fifth Step – Muttermund öffnen im Schnelldurchlauf.
Gut eine Stunden später, gegen 22 Uhr, bettelte der Herr S. in meinem Namen um eine PDA. Die Ärztin holte die nötigen Papiere, während die Hebamme meinen Muttermund untersuchte und zum Erstaunen aller feststellte, dass es nun eben zu spät sei für eine PDA: Muttermund ist offen. Komplett. Das Kind kommt. Jetzt! Die Schmerzen waren mittlerweile unerträglich und fast durchgängig. Ich brüllte bei jeder Wehe wie am Spieß. Das war aber angesichts der Info, es sei gleich vorbei, irgendwie und auf eine ganz komische Art völlig okay für mich.
Vorbei war es aber nicht. Noch lange nicht.
Sixth Step – Geburtsstillstand from hell
Denn Wehe um Wehe tat sich fortan nix. Gar nix. Recht bald waren die Herztöne vom Kind nur noch so mittel und Mateo musste zwecks Überprüfung der Sauerstoffsättigung Blut aus dem Kopf abgenommen werden. Eine Tortur, die fortan alle 20 Minuten durchgeführt wurde und für mich bedeutet, nicht mehr stehen zu dürfen. Liegend auf dem Bett vervielfachte sich der Wehenschmerz für mich schlagartig. Die Hebamme, mittlerweile eine andere, saß neben mir und drückte mein Bein über ihre Schulter nach hinten, während die Ärztin aus dem in mir drin liegenden Schädel Blut abnahm.
Das Ganze ging über Stunden. Fast drei um genau zu sein. Zwischendurch versuchte die Hebamme irgendwas in mir drin zu schieben/ lösen/ was auch immer? Ich erinnere mich nicht genau, was sie vorhatte oder warum, aber ich war einverstanden, damit es endlich weiterging. Sie warnte mich vor den Schmerzen. Ich hab sie rund zwei Wehen ausgehalten. Irgendwann bekam ich Lachgas. Ein Smartie hätte den gleichen Effekt gehabt. Dann noch einen Blasenkatheter. Denn mittlerweile schob sich auch noch die volle Blase gegen die Gebärmutter. Und zu einem anderen Irgendwann weigerte ich mich schließlich auch nur eine weitere Sekunde liegen zu bleiben. Ich konnte einfach nicht mehr. Die Ärztin, die natürlich und richtigerweise die Vitalwerte des Kindes im Sinn hatte, protestierte zwar, tat aber wirklich alles, um mir zu helfen. Versuchte während ich stand, halb unter mir liegend und mit einer Taschenlampe an den Kindskopf zu gelangen. Ein Bild über das ihr gerne lachen dürft. Ich nicht. Ich kann das erst später – so in 100 Jahren. Aber wie gesagt, ihr dürft.
Es war nun gegen 00:30 Uhr. Der Raum füllte sich recht plötzlich und war voller Menschen. Mehr Hebammen, mehr Ärzte, inklusive Oberarzt. Alle redeten auf mich ein, ich müsse mich unbedingt hinlegen, man müsse mich jetzt wirklich untersuchen. Dringend. Irgendwann gab ich nach.
Die Wehen kamen immernoch alle paar Sekunden. Der Oberarzt untersuchte. Es wurde ein Kaiserschnitt vorgeschlagen. Ich bekam einen Wehenhemmer. Der hemmte jedoch nicht. Ich malte einen Strich dahin, wo ich unterschreiben sollte. Zu dem Zeitpunkt hätte ich allerdings auch unterschrieben, dass sie mir einen Fuß abhacken dürfen, wenn dadurch die Schmerzen endlich aufhören.
Seventh Step – Schnipp Schnapp
Sofort als ich unterschrieb, verließ mich sämtlich alle Kraft und jeder Wille noch irgendwas zu ertragen. Ich bekam einen dauerhaften Wehenhemmer – der ebenfalls nix hemmte. Ich wurde sauer. Wurde ins OP geschoben. Liegend. Die Wehen kamen weiterhin. Im OP sollte ich sitzen, mit gekrümmten Rücken, damit mir die Betäubung in die Wirbelsäule gejagt werden kann. Es brauchte etliche Hände, um mich in eben jene Position zu drücken. Der erste Versuch klappte nicht. Es folgte ein zweiter. Erfolgreicher.
Meine Zehen begannen zu kribbeln und wenige Augenblicke später spürte ich bis zur Brust nix mehr. Wirklich gar nix. Ich dämmerte weg. Der Anästhesist versuchte mit mir zu reden und ich bekam ein Blutdruckmittel, während die Ärzte begannen mich aufzuschneiden. Erst die Bauchdecke, dann die Gebärmutter. Der Anästhesist und Herr S. redeten mit mir. Mateo schrie nun. Ich war immernoch nur müde. Er wurde mir kurz gezeigt. Der Herr S. und die Ärzte verschwanden mit ihm. Dann wurde er mir wieder gegeben, während die Ärzte mich zunähten. Ich wurde weggeschoben. In einen Aufwachraum. Herr S. blieb bei Mateo. ALles war wie durch Watte.
Eighth Step – Flurromantik
Ich lag im Aufwachraum. Bei völliger Dunkelheit, Bewegungslos, voller Schmerzmittel – und ich war alles andere als böse darum. Ich war erleichtert und auch nach 3-Tage-Festival-wach noch nie so müde gewesen.
Nach zwei Stunden wurde ich „auf Station geschoben“ – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn eine Kombination aus Raumverlust durch aktuelle Umbauten und Geburtenhoch bis hin zum Aufnahmestopp, hatte nun eben dazu geführt, dass es schlicht keinen einzigen Raum mehr gab, in dem der Herr S., ich und natürlich Mateo ein bisschen Zeit zum Kennenlernen hätten haben können. So entstand das erste Familienfoto auf dem Krankenhausflur. Genau wie das erste Stillen. Genau wie das erste Liebhaben und auch das erste Tränchen. Hört sich grauenhaft an, war es vermutlich auch. Aber meine dermaßen allgegenwärtige Erschöpfung (und auch die Schmerzmittel) ließen nicht zu, dass das irgendwie zu mir durchdämmerte. Irgendwann, so gegen vier wurde der Herr S. gebeten zu gehen. Mateo und ich wurden auf mein Zimmer geschoben.
Ninth Step – Ursachenforschung
Am nächsten Tag erfuhr ich, dass eine natürliche Geburt mehr oder weniger ausgeschlossen war. Mehr mehr als weniger. Denn Mateos Kopf lag falsch. Wir hatten eine „hintere Scheitelbeinstellung“, auch Litzmann Obliquität genannt. Kommt nicht oft vor. Sogar eher selten. Und im Mittelalter hätten wir diesen Hang zu exotischen Haltungen vermutlich nicht überlebt. Daher: Ein Hoch auf die moderne Medizin.
Traurig über diesen Geburtsverlauf bin ich trotzdem. Sehr sogar. Ich fühle mich um dem Moment beraubt mit meinem Baby die ersten Augenblicke seines Lebens zu erleben. Fühle mich seither wie als würde ich unter Gedächtnisverlust leiden – auch wenn ich mich an die Ereignisse sehr gut erinnern kann. Es ist mehr wie eine emotionale Gedächtnislücke – die sich nur sehr langsam schließt.
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