Leben, Dies, Das & Ich
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Wenn beim Nachbarn die Tür aufgebrochen wird – 2.0

Wohnung allein

Vorhin. Gegen halb sechs hat’s an der Tür geklingelt – und die Polizei stand auf der Schwelle. Na. Wie soll ich sagen. Da das im letzten Jahr diverse Male vorgekommen ist, hat sich in mir, beim Anblick von Uniformen im eigenen Hausflur, eine gewisse Routinehaltung eingestellt. Es gab im letzten Jahr Wochen, in denen sie gleich mehrmals hier waren. Denn mein Nachbar von oben drüber ist schwer depressiv. Er ist eigentlich immer nur wenige Wochen oder Tage am Stück hier – als Versuch außerhalb der geschlossenen Psychiatrie zu leben – dann verschwindet er immer dahin zurück. Jedenfalls. Im Februar gipfelte dies darin, dass seine Wohnungstür aufgebrochen wurde. Feuerwehr. Krankenwagen. Polizei. War ne Riesen-Aktion – auch wenn das Türaufbrechen an sich nur etwa eine Minute gedauert hat; und von einer einzigen Person mit Brecheisen erledigt wurde. Aber bis es zu dieser Entscheidung kam, hat es diverse Stunden gebraucht.

Und heute. 2.0

Also, ich weiß ja nicht, wie es euch gehen würde, aber ich wurde heute vor allem eins: Äußerst skeptisch, meinen eigenen Wahrnehmungen gegenüber. Konnte mich einfach nicht auf ein definitives „Ja“ oder „Nein“ bezüglich der Frage, ob oder ob ich nicht Schritte am Morgen in der Wohnung über mir gehört habe, festlegen. Eigentlich war ich mir ja anfangs ziemlich sicher, dass ich welche gehört habe (es ist alles einigermaßen hellhörig hier) – aber, nun, dann kamen mir doch Zweifel. Ich wollte ja nix Falsches sagen und damit die Sachlage verfälschen. Denn vielleicht war es doch gestern, oder vorgestern. Bei Geräuschen, die halt immer da sind, die man eigentlich schon gar nicht mehr hört, ist so was wirklich schwer zu sagen.

Dass ich aber so ganz generell in den letzten Tagen Schritte gehört habe, habe ich hingegen gleich zu Beginn mit absoluter Sicherheit verlauten lassen. Und das kam mir dann Augenblicke später, als wir vor seiner Wohnungstür standen und zu viert auf einen etwa vierzig Zentimeter hohen Zeitungshaufen gestarrt haben, äußerst dumm vor. Jenen hatte meine Nachbarin von ganz oben offenbar für ihn angelegt, weil sein Briefkasten sonst übergequollen wäre. Mhm. Was soll ich sagen. War eine seltsame Situation, kollektiv auf etwas zu starren, das das Gegenteil von dem suggeriert, was man gerade eben proklamiert hat. Daher: Ehrlicherweise habe ich ziemlich aufgeatmet, als später von offizieller ärztlicher Seite bestätigt wurde, dass er zumindest vor wenigen Tagen sicher in seiner Wohnung gewesen sein musste…. Verrückt – ja paradox, wie einem auf einmal Dinge unsicher erscheinen, die man mit absoluter Sicherheit weiß – „nur“ weil sie plötzlich von massiver Bedeutung sind. Denn: Ich kann mich sogar noch daran erinnern, wie ich am Wochenende von diversem Gepolter oben drüber geweckt wurde. Wollte sogar irgendwas Genervtes darüber twittern, hab’s dann aber aus Faulheit, Schlaftrunkenheit, Gründen eben gelassen…

Insgesamt war alles einigermaßen surreal, fiktiv. Vielleicht deswegen, weil solche Szenen gefühlt in Filme gehören und nicht ins Leben – was natürlich fataler Unsinn ist. Aber da man das Leben von dieser Warte aus eben nur aus Filmen kennt, diffundiert man/ ich irgendwie automatisch ins Fiktive. Eigentlich möchte man die ganze Zeit „Just one second please, Mister“ rufen, um realitätsmäßig hinterher zu kommen. Vor allem, bevor man mit einem Polizeibeamten und einer Taschenlampe in den eigenen Keller geht, um sicher zu gehen, „dass er sich dort nirgendwo….“ – den Satz hat er nicht beendet. Und ja: Wir haben Licht im Keller. Überall. Und in jedem Raum. Was das mit der Taschenlampe sollte, weiß ich nicht. Ich vermute aber, dass das eine Art Übersprungshandlung seinerseits war. Denn es ist natürlich unfair davon auszugehen, dass der Herr weniger Grauen hatte als ich. Keiner sieht „so was“ ständig…. So ganz insgesamt sind das irgendwie Situationen, in denen Begriffe, wie „Schicksal“ Sinn ergeben – denn ist gibt natürlich keinen kausalen Zusammenhang, warum ausgerechnet ich in dieser Szene gelandet bin. Trotzdem, dennoch und logischerweise, gab es aber halt nur mich, die die Kellerführung hätte übernehmen können.

Zack. Dann wurde die Wohnung aufgebrochen. Ging diesmal verdammt schnell. Just als Feuerwehr und Krankenwagen da waren, ging es los – auch wenn deren Anwesenheit für’s Aufbrechen an und für sich nicht wichtig gewesen wäre. Mhm. Dann. Ja. Stand auf mal der behandelnde Arzt im Hausflur. Er hatte die Polizei informiert. Sein Gesicht war irgendwie nicht von der Sorte Ausdruck, den man bei „routinemäßiger Selbstmordgefährdung“ hat, sondern von wirklicher hektischer Sorge.

In der Wohnung war niemand und es wurde sofort so etwas, wie eine Fahndung rausgegeben. Der Schlüsseldienst kam, um ein neues Schloss einzubauen. So was geht verdammt schnell. Und ich habe der Polizei meine Handynummer gegeben. Was ich eigentlich nicht wollte, aber trotzdem gemacht habe, weil ich mich selbst zu ätzend dabei gefunden hätte, dies zu verweigern. Gefühlt war der ganze Überwachungs-Orwell-Komplex grad halt ’ne Kinderkram-Zankerei. Der Krankenwagen vor der Tür hatte immernoch Motor und Blaulicht am Laufen – und der Hausflur war: Blau. Wisch. Blau. Wisch. Blau…. Es standen ja alle Türen offen, zur Straße, zum Hof, zu meiner Wohnung. Letztesmal ist einer der Sanitäter gar von meinem Balkon auf den seinen geklettert, um von dort einen Blick in die Wohnung werfen zu können. Diesmal hat meine Nachbarin „nur“ vom Hof aus mit einem der Beamten versucht zu erkennen, ob da Licht brennt. Und zack. Auf einmal waren alle weg. Niemand mehr da. Stille. Haustür von innen abgeschlossen. Und ich stand im Flur. Alleine. Und dachte: „Hähh. Wat!“ – Die Stille war ein wenig, wie eine Ohrfeige.

Mhm. Dann saß ich kurz in meiner Wohnung und wollte das weitermachen, was ich zuvor gemacht habe. Bin dann aber erstmal in den Supermarkt einkaufen. Irgendwas. – Und hätte beinahe geschrien, als mir beim Aufschließen der Haustür ein „Ah“ aus dem Keller entgegenraunte. 2.0-Faktor der Polizeigroßaktion hin oder her – so was nimmt mich offenbar immer einigermaßen mit…. Denn das „Ah“ war einfach nur das Ende von „Sarah?“ – und kam von meiner Nachbarin, die grad im Keller bei ihrer Wäsche war – und damit einfach nur erfragen wollte, ob ich es bin. Wir haben uns dann noch unterhalten, ausgetauscht: Dass z.B. der Arzt noch da war, hatte sie gar nicht mehr mitbekommen, weil sie weg musste. Auch nicht, dass wir ihren Schuhschrank beiseite geschoben haben, um auch auf dem Dachboden nachzusehen – von dem ich nichtmal wusste, dass er existierte. Die Luke ist mir schlicht nie aufgefallen.

Na ja. Es ist zwar irgendwie sinnfrei über so was zu reden. Aber es beruhigt halt, so ganz insgesamt – sich gegenseitig die Eindrücke zu schildern. Und. Sich abzusprechen, was man den, mit Sicherheit in den nächsten Tagen nachfragenden, umliegenden Nachbarn erzählt. – Mhm. Ja. Währenddessen. Während wir so redeten, fing ich an meinen Käse zu streicheln – der nicht mehr in die Einkaufstasche gepasst hatte und ich ihn deswegen so und in der Hand nach Hause getragen habe. so was.

Dann haben meine Nachbarin und ich noch dreißig Euro vor seine Wohnungstür gelegt. Wir müssen ja auch ins Bett – und wenn er heute Nacht doch noch nach Hause kommt, kein Bargeld dabei hat, sein neuer Wohnungsschlüssel aber nunmal bei der Polizei ist. Halt ein Taxi braucht. Deswegen…. Wenn’s einem eh schon dreckig genug geht, kann man ja zumindest dafür sorgen, dass die äußeren Umstände nicht auch noch wild um sich schlagen – dachten wir uns. Auch wenn’s irgendwie nur eine schlichte Hilfe ist. Und. Vielleicht ist er ohnehin auch schon längst so oder so gefunden worden. So was sagt einem ja niemand.

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